(Siebter Teil) „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben“ (Johannesevangelium, 3/16). Diejenigen unter Ihnen, die in ihrer Kindheit christlichen Religionsunterricht genossen haben, erinnern sich an diese Verse.

Während ich dieses Buch schrieb, habe ich mich mit Freunden, Freundinnen und Bekannten über verschiedene Fragen unterhalten, insbesondere stellte ich ihnen die Frage:“ Wie würdest du Liebe definieren?“ Die Antworten waren vielfältig und haben mir sehr bei meinen Überlegungen geholfen. Eine der Antworten war: „Der größte Liebesbeweis ist, sein Leben für die geliebte Person zu opfern.“ Eine sehr intensive Unterhaltung folgte, wir haben zusammen diese Aussage analysiert und überlegt, was man darunter verstehen könnte. Wir waren uns einig darüber, dass diese Worte aus der religiösen Erziehung stammen, die wir genossen hatten.

Erste Frage: Wäre es wirklich der größte Liebesbeweis, einer anderen Person, z.B. seinem Kind das Leben zu retten und dabei sein eignes Leben zu verlieren? Glücklicherweise sind derartige Situationen eher selten und die biblischen Worte haben auch keine Welle von Menschenopfern ausgelöst. Sie wurden vor etwa 2000 Jahren geschrieben. Zu damaligen Zeiten waren Tier- und Menschenopfer in vielen Religionen noch präsent.

Zweite Frage: Ist es nicht ein bisschen voreilig, die Worte des Johannesevangeliums « dass er seinen eingeborenen Sohn gab » im Sinne von „für jemanden sterben“ zu interpretieren? Im ganzen Neuen Testament geht es um das, was Jesus in seinem Erwachsenenleben getan hat, bevor er schließlich am Kreuz starb. Jesus hat sich sehr für das Wohl seiner Mitmenschen eingesetzt. Nun ist es eine Glaubensangelegenheit, ob sein gewaltsamer Tod das auslösende Element für das ewige Leben der Gläubigen sei. Aber die nicht von der Hand zu weisende Realität ist, dass die Hilfe und Erklärungen, die ein Mensch einem anderen schenkt, das Leben dieser beiden Menschen positiv beeinflusst.

Man möge sich einen Moment die seelische Belastung eines Kindes vorstellen, das von seiner Mutter oder seinem Vater zwar gerettet wurde, diese Mutter oder dieser Vater die Rettungsaktion aber mit seinem Leben bezahlte.

Gewiss, derartige Situationen gibt es. Aber die rettende Person weiß wohl kaum im Voraus, ob sie überleben wird oder nicht und hat sicher auch keine Zeit, darüber nachzudenken.    

Ich schlage vor, diese Worte im Sinne eines Vorbildes folgendermaßen zu verstehen: Die meisten von uns sind im Leben mit Situationen konfrontiert, wo wir uns nicht oder kaum um unser eigenes Leben und unsere eigenen Bedürfnisse kümmern können, weil unsere Kinder oder eine andere Person von uns abhängig ist und ihr Wohl im Moment vorrangig ist. Es kann Jahre dauern, wo unsere eigenen Bedürfnisse im Schatten stehen, aber wir haben gleichzeitig die Pflicht zu überleben, denn unser Tod würde die Situation der Kinder oder anderen abhängigen Personen nur verschlimmern. Sein Leben für die geliebten Personen opfern bedeutet nicht, für sie zu sterben, sondern während einer gewissen Zeit unseres Lebens unsere eigenen Bedürfnisse zurückzustellen, um den geliebten Personen zu helfen. Dabei haben wir die Pflicht, uns selbst nicht völlig zu vernachlässigen, denn unsere Lebenskraft muss erhalten bleiben, um den anderen zu helfen. Diese Aufgabe ist schwierig und wer sich ihr stellt und sie so gut wie möglich meistert, erbringt einen großen Liebesbeweis.